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AD(H)S, Lernschwächen und Verhaltensschwierigkeiten – derartige Diagnosen wirken einerseits befreiend, denn endlich gibt es eine Lösung: Sozialtraining. Und endlich gibt es eine Erklärung für das auffällige Verhalten von Kindern, die sich nicht in eine gesellschaftliche Schublade zwingen lassen. Es liegt also nicht an mangelnder Erziehung oder der Unfähigkeit, die Elternrolle verantwortungsbewusst auszufüllen … richtig?
Doch andererseits bleibt es eine Tatsache, dass sich belastete Kinder nur schwer in Gruppenstrukturen, wie z. B. in Schulklassen, integrieren lassen. Sie bleiben auffällig und sie ecken immer wieder an – bei Gleichaltrigen, aber auch bei Erziehern und Lehrern. In erster Linie sind natürlich die Kinder selbst von Ausgrenzung und Isolation betroffen, doch tatsächlich leiden nicht selten ganze Familien darunter: Das Leben mit einem von AD(H)S betroffenen Kind bringt eine enorme finanzielle und zeitliche Belastung mit sich. Viele Elternteile müssen ihre berufliche Tätigkeit aufgeben, um Therapietermine einzuhalten, Förderungen in Anspruch zu nehmen etc. Hinzu kommen ausgesprochene wie auch unausgesprochene Vorwürfe aus der Außenwelt.
Insbesondere wenn der Grund für Lern- bzw. Verhaltensschwierigkeiten auf den ersten Blick nicht sofort erkennbar ist, gilt das Kind schlichtweg als schlecht erzogen. Diese Einschränkungen und Belastungen bleiben natürlich auch innerhalb der Partnerschaft nicht ohne Folgen. Ein leichtes, harmonisches Familienleben scheint kaum möglich. Im Streit fallen Worte, die unter anderen Umständen vielleicht nie gesagt worden wären. Nicht selten kommt es sogar zur Trennung und das nunmehr alleinerziehende Elternteil rutscht weiter in die Isolation hinein. Auch der alte Freundeskreis löst sich auf, Kontakte verlieren sich. Das Krankheitsbild wird mehr und mehr zum zentralen Thema, es bestimmt jeden Gedankengang. Was wird die Zukunft für das Kind bringen? Wie wird es sich zurechtfinden? Welchen Beruf wird es ausüben können? Was zurückbleibt, ist das Gefühl, versagt zu haben.
Im Rahmen eines Sozialtrainings nach dem Prinzip des Marburger Konzentrations- und Verhaltenstrainings (MKT/MVT) legen Sie die Weichen nicht nur für Ihren Nachwuchs neu, Sie werden darüber hinaus auch selbst lernen, mit schwierigen Verhaltensweisen umzugehen. Sie werden sich weniger provoziert und schikaniert fühlen. Sie werden verstehen, warum sich Ihr Kind verhält, wie es sich verhält. Erst wenn Sie sich wirklich in das Wesen Ihres Kindes hineinfühlen, können Sie mit Empathie und Verständnis nach langfristigen Lösungen suchen.
Egal, ob AD(H)S, Lern- oder Verhaltensschwierigkeiten (einzeln oder in Kombination) – negative Auffälligkeiten und Schulprobleme stehen dabei oft im Vordergrund. Doch Schüler, die in den Grund- oder weiterführenden Schulen als „schwierig“ gelten, sind mitunter sehr hilfsbereit und fantasievoll, begeisterungsfähig, kreativ und durchaus auch teamfähig. Wenn sie sich allerdings ständiger Kritik von Seiten der Erwachsenen ausgesetzt sehen, rücken diese positiven Eigenschaften schnell in den Hintergrund: „Warum kannst du das nicht? Hast du wieder nicht gelernt? Jetzt reiß dich mal zusammen!“
Dabei spielt es keine Rolle, ob pädagogisch ausgebildete Lehrkraft oder liebevolles Elternteil – jedem reißt irgendwann der Geduldsfaden, das ist nur allzu menschlich. Spätestens wenn wir den Ablauf einer Multiplikation zum fünften Mal erklären oder die Englisch-Vokabeln für den nächsten Test mit ausbleibendem Erfolg wiederholen, rutscht es uns heraus: „Du liebe Güte, aber das kann doch nicht so kompliziert sein!“
Mitunter fällt das Lernen jedoch tatsächlich sehr schwer, zum Beispiel wenn Konzentrationsstörungen aufgrund von AD(H)S, einer Legasthenie oder Dyskalkulie zugrunde liegen. Bleibt dies unerkannt, so verlernen die Schüler im Laufe der Zeit, Glücksgefühle und Erfolgserlebnisse zu spüren. Das Gehirn stellt den Dopaminausstoß ein, damit sinkt auch die Eigenmotivation: „Ich kann das doch eh nicht!“
Inzwischen ist bekannt, dass AD(H)S, Lernstörungen und Verhaltensschwierigkeiten nicht selten in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Während sich einige Schüler immer weiter zurückziehen, sehen andere im Angriff die beste Art der Verteidigung. Doch ob verschüchtertes Mäuschen oder brüllender Löwe – im Endeffekt werden Mauern errichtet, die vor der Ablehnung Erwachsener und dem Spott Gleichaltriger schützen sollen. Im schlimmsten Fall entwickeln sich die Betroffenen zu Schulschwänzern und ständigen Schulverweigerern. Körperliche und psychische Beschwerden äußern sich beispielsweise in Form von:
Diesen Kreislauf aus Ablehnung und Abwehrmechanismen gilt es nun im Sozialtraining zu durchbrechen – und zwar auf eine Art, die dem Wesen von Kindern am nächsten kommt: aktiv, spielerisch und sportlich.
Das Marburger Konzentrations- und Verhaltenstraining geht auf spielerische und bewegungsaktive Weise auf Ihr Kind ein. Anstatt sich wie in der Schule stundenlang am Schreibpult auf die Monologe der Lehrer zu konzentrieren, steht hier unter anderem auch der Sport im Fokus.
Spiele und Bewegung leisten einen wertvollen Beitrag zur Förderung des betroffenen Schülers:
➧ So übt das vestibuläre System – unser Gleichgewichtssystem – eine koordinierende Funktion auf die Sinnesorgane aus. Sport kann folglich nicht nur motorische Fähigkeiten, sondern auch das Sehen und Hören, Sprechen und Fühlen verbessern. Schwächen in dieser visuellen, auditiven und taktilen Wahrnehmung und daraus resultierende Lernstörungen gehen zurück.
➧ Das propriozeptive System – auch als Tiefensensibilität bekannt – beeinflusst die Eigenwahrnehmung des Körpers. Es verknüpft z. B. die Körperbewegung mit dem Sehsinn, um eine entsprechende Koordinationsfähigkeit zu ermöglichen. Damit werden physische Fertigkeiten angeregt, die für den Aufbau schulischer Fähigkeiten maßgeblich sind.
Sportlich bleiben! (Kampf-)Sport – unterschätzter Partner bei AD(H)S, Autismus, Lern- und Verhaltensschwierigkeiten
Autorin: Nicole Zieseniss
Academia Verlag, 2019
ISBN: 978-3896657428
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